Die Transparenz-Initiative FragDenStaat hat die Beschlüsse des Münchner Amtsgerichts zu den Durchsuchungen, der Beschlagnahmung und den Abhörmaßnahmen gegen die „Letzte Generation“ veröffentlicht. Die Veröffentlichung solcher amtlicher Dokumente aus Strafverfahren ist nach § 353d Nr. 3 StGB eigentlich verboten. Das ist auch der Grund dafür, dass Medien bislang die Dokumente weder publiziert noch umfangreicher aus diesen zitiert haben. FragDenStaat veröffentlicht die Dokumente nun als abgetippte Texte mit Schwärzungen.
Im vergangenen Mai ließ die Generalstaatsanwaltschaft München Wohnungen und Aufenthaltsorte von sieben Menschen aus dem Umfeld der Klima-Gruppe durchsuchen. Dabei wurden Telefone, Computer, Bankkonten und die Webseite beschlagnahmt. Zusätzlich wurden das Pressetelefon der Gruppe und weitere Anschlüsse überwacht. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Die Letzte Generation habe eine kriminelle Vereinigung gebildet. Der Paragraf §129 ist als Schnüffel- und Ausforschungsparagraf umstritten, weil er den Ermittlungsbehörden zahlreiche Befugnisse einräumt, zugleich aber nur relativ selten zu Anklagen und Verurteilungen führt.
„Veröffentlichungsverbot verfassungswidrig“
FragDenStaat begründet die Publikation der Dokumente damit, dass ein striktes Veröffentlichungsverbot „in Bezug auf die freie Berichterstattung der Presse jedoch verfassungswidrig“ sei und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könne eine Veröffentlichung von Dokumenten aus Strafverfahren nur dann verboten sein, wenn sie die Wahrheitsfindung der Gerichte oder die Unschuldsvermutung beeinträchtigt, schreibt FragDenStaat.
Die NGO begründet die Veröffentlichung unter anderem mit dem großen öffentlichen Interesse. Es müsse jetzt diskutiert werden, ob die Maßnahmen der Justiz verhältnismäßig oder vielmehr ein politisches Manöver waren. Eine solche Debatte dürfe nicht erst nach einem jahrelangen Verfahren stattfinden, da das Vorgehen der Ermittlungsbehörden jetzt ihre durchgreifende Wirkung in Teilen der Bevölkerung entfalteten.
Während die Aktionsformen der Letzten Generation in der Gesellschaft umstritten sind und von einer Mehrheit abgelehnt werden, haben sich zahlreiche Vertreter:innen der Zivilgesellschaft – von Bürgerrechtsorganisationen bis zum Kirchentag – ihre Solidarität mit der Klima-Gruppe zum Ausdruck gebracht. Sogar der UN-Generalsekretär betonte nach der Razzia die Wichtigkeit von Klima-Aktivismus. Gleichzeitig mehren sich in der erhitzten Debatte, angefeuert durch Teile von Medien und Politik, Fälle von Selbstjustiz und Übergriffen gegen die Aktivist:innen.
Überwachung des Pressetelefons
Für die öffentliche Debatte könnten die Dokumente interessante Aufschlüsse geben. Diese zeigten unter anderem, dass das Gericht Grundrechte nicht geprüft habe, als es beschloss, die Aktivist:innen zu durchsuchen und abzuhören, so FragDenStaat.
Zum einen hat das Amtsgericht nicht geprüft, ob die Taten der „Letzten Generation“ – überwiegend Straßenblockaden – nicht eigentlich von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind. Zum anderen hat es nicht geprüft, ob die von ihm erlaubten Maßnahmen, also die Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Abhörmaßnahmen, verhältnismäßig sind. Sie greifen tief in die Grundrechte der davon Betroffenen ein, etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Pressefreiheit. Die Grundrechte werden in den Beschlüssen aber nicht einmal erwähnt.
FragDenStaat schreibt mit Hinweis auf weitere Ermittlungsakten, dass dem Ermittlungsrichter allerspätestens im Januar 2023 klargewesen sein müsse, dass auf der Nummer „fast ausschließlich Medienvertreter“ anriefen. Gleichzeitig wusste der Richter aus dem Polizeivermerk, dass keine „Erkenntnisse über bevorstehende Aktionen, welche nicht bereits durch Pressemitteilungen oder -konferenzen veröffentlicht wurden“ durch die Überwachung festgestellt werden konnten. Drei Journalisten wehren sich mittlerweile juristisch gegen das Abhören des Telefons. Insgesamt hat die Polizei 13 Anschlüsse überwacht.___
@toastus Über die Grundgesetz-Widrigkeit eines Gesetztes entscheidet das Verfassungsgericht (und dort liegt das Gesetz bereits zur Prüfung) und kein Amtsrichterin. Nach ihrem Selbstverständnis hat sie das Gesetz anzuwenden oder sie selbst verhält sich ebenfalls rechtswidrig - unabhängig davon was ihr “droht”.
Ich kann ihren Zwiespalt jedenfalls nachvollziehen.
Danke, dass du auf den etwas provozierend formulierten Post überhaupt antwortest.
Aber nur zur Klarstellung, die Grundgesetzwidrigkeit habe ich jetzt einfach so in den Raum gestellt, da sie in meinen Augen offenkundig ist.
Mir ist klar dass es nicht in die Zuständigkeit eines Amtsgerichts fällt, das rechtsgültig zu entscheiden.
Ich teile dann einfach nicht das Selbstverständnis deiner Partnerin, ein für mich allgemein unmoralisches und grundrechtswidriges Gesetz voll anzuwenden.
Insbesondere für eine Fallkonstellation, für die es laut bayrischem Landtag niemals gedacht war, da hier bei der Einführung explizit von Terror und extremsten Gewaltverbrechen gesprochen wurde.
Noch dazu kommt, dass ich zumindest beim Ankleben an Straßen die Rechtswidrigkeit aufgrund von § 240 Abs. 2 StGB rundweg ablehnen würde, da ich es für absurd halte, den angestrebten Zweck als verwerflich zu bezeichnen.
Auch wenn ich zu meiner Überraschung feststellen musste, dass das wohl eine Minderheitsmeinung unter Juristen zu sein scheint.
@toastus Bist ja auch kein Jurist. ;-)
(Ich auch nicht.)
Ich find’s auch Scheiße, das muss ich aushalten.
Und demonstrieren gehen, und wählen, und manchmal möchte ich natürlich auch gerne etwas in die Luft sprengen…